Interkulturelles Wissen: Midsommar – Mittsommer

Susanna Stempfle-Albrecht , 19.06.2015

Midsommar: So heißt der Mittsommer auf Schwedisch. Das Möbelhaus Ikea hat das Bild des längsten Tages mit geprägt. Werbung, Literatur, Kino und Printmedien greifen das Thema inzwischen gern auf.

Midsommar: So heißt der Mittsommer auf Schwedisch. Das Möbelhaus Ikea hat das Bild des längsten Tages mit geprägt. Werbung, Literatur, Kino und Printmedien greifen das Thema inzwischen gern auf. Die mythologische und kulturelle Bedeutung bleibt dabei oft auf der Strecke. Ikea selbst versuchte eine Zeitlang, mit ironischen Bildern Werbung für seine Mittsommer-Aktionen zu machen. Diesen Humor verstand in Schweden nicht jeder – einmal musste sogar ein Spot zurückgezogen werden. Höchste Zeit auch für uns, einmal näher auf den Midsommar zu schauen.

Midsommar, die Sommersonnenwende, ist in Schweden eine mythenumsponnene und magische Zeit. Sie wird in Volksmythen und Volksliedern, in der darstellenden Kunst, im Film und in der Literatur immer wieder gern dargestellt. In die Weltliteratur hat das Thema durch Shakespeares Mittsommernachtstraum, August Strindbergs Fräulein Julie oder Tove Janssons Gefährlicher Mittsommer Eingang gefunden.

Tradition und Technologie

Die heidnische Volkssage ist das mythische Pendant zum modernen, hochtechnisierten Schweden – ein Kulturgut mit vorchristlicher Tradition, das in der schwedischen Seele tief verankert ist. Geschichten ranken sich um übernatürliche Wesen wie Wichtel, Trolle und Elfen, die am Mittsommer, aber auch zu anderen Hoch-Zeiten ihr Unwesen treiben. Zum Mittsommer und seiner besonderen Stimmung gehört ein Ritual, das mit dem Glauben an die magische und heilende Kraft von Pflanzen zu tun hat: Man pflückt sieben oder neun verschiedene Blumen und legt sie in der Mittsommernacht unter sein Kopfkissen, damit die zukunftsweisenden Träume in dieser Nacht wahr werden.

Nicht alles schwedisch, nicht alles wie in Deutschland

Auch die hübschen Blumenkränze, der Maibaum, das Essen (Hering, neue Kartoffeln und Schnaps) und der Froschtanz spielen eine feste Rolle. Aber nicht alles ist ur-schwedisch. Der Froschtanz um den Maibaum zum Beispiel geht auf La Chanson de l'Oignon zurück, ein Marschlied aus der französischen Revolution. Den Refrain „Im Takt, Kameraden“ machten die Engländer zu einem böse-ironischen „Im Takt, Frösche“. Und das fand dann seinen Weg nach Schweden. Und der Maibaum ist ein Kultur-Import aus Deutschland.

In der Mittsommernacht tanzen Kinder und Erwachsene – aus purer Lebensfreude und manchmal auch aus Nostalgie. Bei der Mittsommerfeier geht es um die Leichtigkeit des Seins. Die ganze Feier ist ein Bocksgesang, der alles auf den Kopf stellt, und eine Parodie, in welcher man in Schweden Pflichten und Alltagszwänge vergessen kann und sich ganz den Naturkräften hingeben will.

Der nationalromantische Maler Anders Zorn hat dieses urschwedische Lebensgefühl 1897 in seinem Bild Midsommardansen (Mittsommertanz) festgehalten. Und was so heilig ist – selbst wenn es heidnisch ist --, das darf ein Werbefilm offenbar nicht ironisieren. Man glaubt in Deutschland manchmal, Schweden und Deutsche seien so ähnlich, dass man die wenigen spezifischen Sensibilitäten ignorieren kann. Ikea hat seine Lektion aber schnell gelernt und sich in den Jahren seit dem Mittsommer-Desaster etwas mehr zurückgehalten. Andere Ikea-Spots haben in Deutschland längst Kultstatus erreicht hat – ohne dass die Schweden Anstoß daran nehmen.

Und zum Schluss noch zwei Lese-Empfehlungen:

Stefanie von Schnurbein, Religion als Kulturkritik: Neugermanisches Heidentum im 20. Jahrhundert, Heidelberg 1992.

Astrid Nilsson, „Midsommar I Forsa“, in: Force of habits: Exploring everyday culture (1997), S. 75-90.

Unsere Schweden-Expertin

Susanna Stempfle-Albrecht ist Skandinavistin. Sie gibt seit über zehn Jahren Seminare und forscht zu Kulturen und Sprachen der nordischen Länder an der Universität Münster. Für Ihre Forschung wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

Sie wollen Ihre Internationale Kommunikation mit Nimirum verbessern?
Nimirum unterstützt Sie bei Internationalisierung, Markteinführung und Vor-Ort-Recherche. Anja Mutschler, Dr. Christophe Fricker und ihr Team liefern maßgeschneiderte Lösungen. Kontaktieren Sie uns!
Telefonisch unter +49 (341) 580 680 73 oder per Mail an team@20blue.de.

Gerne vermitteln wir unsere Experten auch an Medien. Schreiben Sie uns an presse@20blue.de

Nimirum auf FacebookNimirum auf TwitterAnmeldung zum Infoletter

Zur Person

Susanna Stempfle-Albrecht

Susanna Stempfle-Albrecht ist Skandinavistin. Sie gibt seit über zehn Jahren Seminare und forscht zu Kulturen und Sprachen der nordischen Länder an der Universität Münster. Für Ihre Forschung wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

Mehr erfahren

Sie suchen nach Expert:innen, die Ihnen weiterhelfen? Melden Sie sich bei uns!

Mehr Lesestoff

informieren
arbeiten

Kulturcheck No. 9: Ice cream, gelado, lody, aisu kuriimu – der weltweite Eis-Check

Speise-Eis weltweit: Die Eis-Vorlieben unterscheiden sich, und Eisrezepte sind so verschieden wie Schoko und Vanille. Andere Kulturen, anderes Eis. Wie sieht das aus? Unser Kulturcheck: elf Begriffe und Bräuche im Überblick.

Von 20blue, 29.07.2014

arbeiten
informieren
konsumieren

Interkulturelles Weihnachtsessen – Worauf Sie achten müssen

Weihnachtstraditionen gibt es viele und die hören beim Weihnachtsessen nicht auf. Wir zeigen Ihnen die ungewöhnlichen und alltäglichen Weihnachts- und Wintergerichte, die unsere Länderexperten für Schweden, Frankreich und Polen gesammelt haben. In einem anderen Land gibt es dagegen statt aufwendigen Weihnachtsgerichten meistens eher einen Eimer KFC.

Von Björn Berger, 22.12.2017

konsumieren
informieren

Interkulturelles Wissen: Du, wie sagen das die Finnen?

Kleiner Praxistest. Ein Unternehmen will auf den finnischen Markt für Versicherungen. Die potentiellen Kundinnen und Kunden will man möglichst höflich ansprechen. Die alte Frage also: siezen oder duzen?

Von Riikka Johanna Uhlig, 15.04.2015

arbeiten
informieren

"Wie geht es Ihrer Frau?" - Wie man in Indien Geschäfte macht (Ländercheck, Folge 4)

Zugegeben, Missverständnisse in Projektteams sind nicht per se interkulturell. Der BER in Schönefeld ist ein schönes Beispiel. Nicht selten scheitern internationale Teams aber an kulturellen Missverständnissen. Unsere Indien-Expertin Minal Sauerhammer gibt im Nimirum-Ländercheck, Folge 4, wichtige Tipps für alle Deutschen, die mit Indern im Team zusammen arbeiten.

Von Minal Sauerhammer, 27.06.2016

Keinen Beitrag mehr verpassen

In unseren regelmäßig erscheinenden Formaten präsentieren wir regelmäßig die spannendsten Inhalte und Insights von 20blue.

E-Mail-Einstellungen

Ihr direkter Kontakt zum 20blue-Team

Sie haben eine Frage oder möchten mit uns zusammenarbeiten? Dann kontaktieren Sie uns! Wir sind von 09:00 bis 17:00 Uhr für Sie erreichbar. Schriftliche Anfragen beantworten wir binnen 24 Stunden, oft auch schneller.

Ihr Kontakt zu uns