„Nachhaltige Vernetzung nötig“ – Demenznetzwerke.de im Gespräch
Mona Nikolić , 28.11.2017

Der Patient von heute informiert sich online: Eine neue Gattung Gesundheitsportale ist dabei entstanden, die nicht nur den Patienten, sondern immer häufiger auch andere Anspruchsgruppen informiert: Politik, Pharmaunternehmen, medizinische Start-Ups, Krankenkassen. Nimirum nimmt die neuen Spezialportale unter die Lupe, in Folge 2: Demenznetzwerke.de.
Demenznetzwerke.de – eine Website als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und praktischer Versorgung
In Deutschland sind aktuell ca. 1,6 Mio. Menschen an Demenz erkrankt. Aufgrund des demographischen Wandels und der steigenden Zahl älterer Mitbürger wächst auch die Zahl der Demenzkranken. Bis 2050 wird ein Anstieg auf 3 Mio. erwartet.. Menschen mit Demenz werden größtenteils in der Häuslichkeit und durch pflegende Angehörige betreut. Dabei wird auch die Unterstützung durch Demenznetzwerke immer zentraler. In der DemNet-D-Studie wurden Demenznetzwerke evaluiert mit dem Ziel, Faktoren für erfolgreiche Netzwerkarbeit zu identifizieren. Ein Ergebnis der Studie ist die Website Demenznetzwerke.de, die evidenzbasierte, passgenaue und praxisrelevante Empfehlungen und Hilfen für die Gründung und das Betreiben von Demenznetzwerken bereitstellt. Nimirum sprach mit Dr. Bernhard Holle, der am DZNE Standort Witten das Teilprojekt „Angehörigenbefragung und Wissenstransfer“ der DemNet-D-Studie leitete, über Demenznetzwerke.de und digitale Portale und Websites als Schnittstellen zwischen Wissenschaft und praktischer Versorgung.
Ausgangspunkt der Website Demenznetzwerke.de war die DemNet-D-Studie. War es von Anfang an geplant, die Ergebnisse nicht nur wissenschaftlich, sondern auch praxisnutzbar für Anwender darzustellen?
Holle: Das war von Anfang an das Ziel. Auf der einen Seite haben wir ein Interesse daran, wissenschaftliche Daten zu generieren und diese aufzuarbeiten. Wir haben auch umfangreich publiziert aus dem Projekt, z.B. zur Inanspruchnahme medizinischer Hilfen durch die Nutzer, zur Belastungssituation der Angehörigen in der Versorgungssituation oder zur Inanspruchnahme pflegerischer Hilfen. Das waren unter anderem unsere Schwerpunkte, die wissenschaftlich publiziert wurden. Auf der anderen Seite hatten wir die Idee zu fragen: „Wie stellt sich eigentlich die Struktur dieser Netzwerke dar? Und was können wir aus diesem Wissenspool, der uns von den 13 teilnehmenden Netzwerken zur Verfügung gestellt wurde, für andere Netzwerke anbieten?“ Es war natürlich toll, dass die Netzwerke, die an der Studie teilgenommen haben, sich bereit erklärt haben, ihre Arbeit so offen zu legen, dass man einen Einblick erhalten konnte: „Was ist denn interessant für andere?“ und das dann sogar online jedem zugänglich machen konnte.
Demenznetzwerke.de ist ein Beispiel für den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis. Wie wichtig sind Ihrer Meinung nach die Digitalisierung und die Website, um die Versorgung und die Netzwerke vor Ort zu unterstützen?
Wir glauben, dass Demenznetzwerke.de ein gutes Beispiel ist, wie wir wirklich systematisch erhobenes Wissen und Informationen einer breiteren interessierten Leserschaft zugänglich machen können, und da ist aus meiner Sicht natürlich der digitale Weg die Zukunft. Es passiert aus meiner Sicht noch zu wenig, explizit aus Forschungsprogrammen oder Forschungsprojekten heraus sehr praxisnutzbare Informationen zur Verfügung zu stellen – wir sprechen hier über den ganzen Bereich der Wissensdissemination, also: „Wie kommen eigentlich Forschungsergebnisse in die Praxis?“ Und je praxisorientierter das gehandhabt wird, desto interessanter ist es dann auch für die interessierten Kolleginnen und Kollegen, das zu nutzen.
Im Fall von Demenznetzwerke.de erfolgt dies über den „Werkzeugkasten“, in dem sich Nutzer praktische Hilfsmittel zusammenstellen und downloaden können.
Der Werkzeugkasten ist eine Art kostenloser „Online-Shop“. Wir stellen da unterschiedliche Hilfsmittel zur Verfügung. Man kann sich die aussuchen, die für die eigene Netzwerkarbeit relevant sind, sie sich runterladen und sie sich für die eigene Arbeit anpassen. Natürlich sind das immer nur Beispiele, die müssen angepasst werden. Aber sie geben einen Einblick, und das ist für diesen Bereich, an dieser Schnittstelle von Wissenschaft und praktischer Versorgung, glaube ich schon ein innovativer Weg und ein gutes Beispiel, wie das gelingen kann. Ich würde sehr hoffen, dass wir viel mehr zu solchen Verwertungsmöglichkeiten kommen. Wir werden auch zukünftig immer auf der einen Seite wissenschaftlich publizieren, als Wissenschaftler ist das unser Kernaufgabengebiet. Aber dann auch darüber nachdenken: „Wenn wir ein gutes Projekt hatten, wie können wir denn die Ergebnisse noch präsentieren?“ Ein etwas interaktiverer und direkterer Zugang, glaube ich, macht es dann einfach spannender.
Auf jeden Fall wird das Angebot gut angenommen. Demenznetzwerke.de ist erst seit Oktober 2015 online, und der Werkzeugkasten hatte schon knapp 10.000 Downloads (Stand: Oktober 2017)
Das freut uns natürlich. Deswegen wurde jetzt auch nochmal eine Möglichkeit für Netzwerke geschaffen, sich auf der Seite freiwillig zu registrieren und mit dem Forscherteam in Kontakt zu bleiben. Denn wir sind natürlich auch daran interessiert, eine Rückmeldung zu den Instrumenten zu bekommen, die wir den Netzwerken zur Verfügung stellen, und zu erfahren, ob und wie mit den Hilfsmitteln gearbeitet wird. Für die Netzwerke kann die Registrierung von Interesse sein, um Kontakt zu bekommen zu Wissenschaftlern, die sich explizit in diesem Bereich bewegen und Zugang zu Informationen zu erhalten oder sich auszutauschen. Es ist also eine beidseitige Geschichte.
Ein Zukunftsziel ist es also, den Kontakt und den Austausch zwischen Forscherteam und Demenznetzwerken über die Website noch zu stärken. Inwieweit sollen durch die Website auch der Austausch und die Vernetzung der einzelnen Netzwerke untereinander noch stärker gefördert werden?
Da sind wir dann an einer interessanten Schnittstelle. Als Wissenschaftler haben wir ja nicht zuvorderst einen Auftrag, eine Kommunikationsplattform zu schaffen und anzubieten. Die Website war ja das Ergebnis eines Projektes. Und wir hatten auch überlegt: „Kann man es noch interaktiver gestalten?“, also über Foren oder Chats etc. Aber da kommen wir dann natürlich schnell an strukturelle Grenzen, denn unser Kerngeschäft ist die Wissenschaft, sind Studien. Eine interaktivere Website stellt uns vor die Herausforderung: „Wie kann das administrativ begleitet werden?“, denn eine interaktive Website kann man nicht für sich stehen lassen. Das sind vielleicht einfach noch ungelöste Fragen, wenn wir über Wissensdissemination und Verbreitung im digitalen Raum sprechen: „Wer ist dann der Anbieter einer solchen Website, wenn sie interaktiver ist?“ Denn wenn sie interaktiv ist, dann muss sie auch tatsächlich interaktiv sein, und dann müssen dafür auch Ressourcen zur Verfügung stehen. Dann wäre vielleicht der nächste Schritt zu sagen: „Okay, man übergibt es dann für eine nächste Phase an jemanden, der das dann begleiten kann.“ Aber da müsste man schauen, welche Institutionen das leisten können und wessen Auftrag das ist. Das ist eine spannende Frage.
Was wünschen Sie sich für die Website Demenznetzwerke.de?
Natürlich habe ich den Wunsch, dass die Website von denen genutzt wird, für die wir sie gemacht haben, eben interessierten Praktikern in der Gesundheits- bzw. Demenzversorgung; dass wir Rückmeldungen dazu bekommen, wie es aufgefasst wird, wie damit gearbeitet werden kann und was man vielleicht auch noch verbessern kann. Und ich habe den Wunsch, dass wir als Wissenschaftler die Rückmeldungen aus der Versorgungspraxis bekommen, die wir benötigen, um neue Fragen zu generieren, neue Themen zu identifizieren und im Gespräch bleiben. Und das wäre der Wunsch an die Website, dass sie uns hierbei unterstützt. Ich kann sagen, dass ich das als eine ausgesprochen interessante Möglichkeit der Verbreitung von Studienergebnissen ansehe und hoffen würde, dass das in Zukunft Schule macht. Dass wir uns von der Wissenschaft mehr auf den Weg machen, unsere Ergebnisse auch so praxisnutzbar darzustellen, dass diese Verbreitung dann aber auch seitens der Auftraggeber oder weiteren Institutionen unterstützt wird.
Vielen Dank für das Gespräch.
Demenznetzwerke.de – Rahmendaten und Hintergrund
Die Grundlage der Website Demenznetzwerke.de ist die multizentrische, interdisziplinäre Evaluationsstudie von Demenznetzwerken in Deutschland (DemNet-D), die im Rahmen der Zukunftswerkstatt Demenz vom Bundesministerium für Gesundheit beauftragt und gefördert wurde. Die Studie wurde von April 2012 bis Oktober 2015 durchgeführt. Ziel der Studie war es, regionale Demenznetzwerke, d.h. Netzwerke von Gesundheitsanbietern im weiteren Sinne mit Fokus auf die Versorgung von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen, zu evaluieren und so herauszufinden, wie und warum Demenznetzwerke erfolgreich arbeiten.
Hinter der DemNet-D-Studie steht ein interdisziplinärer Forschungsverbund. Die Projektkoordination erfolgte durch das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) am Standort Rostock/Greifswald und den Sprecher des Projektverbundes, Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, MPH. Beteiligt an der Durchführung der Studie waren darüber hinaus der DZNE Standort Witten, unter der Leitung von Dr. Bernhard Holle, MScN sowie das Institut für angewandte Sozialwissenschaften (IfaS) unter der Leitung von Prof. Dr. Susanne Schäfer-Walkmann sowie die Abteilung Pflegewissenschaftliche Versorgungsforschung am Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen unter der Leitung von Prof. Dr. Karin Wolf-Ostermann. In die Studie wurden 13 etablierte Demenznetzwerke aus (groß-)städtischen oder ländlichen Gebieten in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen einbezogen. Im Einzugsgebiet der Netzwerke leben über 5000 Menschen mit Demenz werden durch diese Netzwerke versorgt, über 5000 Menschen mit Demenz wurden durch die Netzwerke versorgt. Diese Demenznetzwerke wurden in Hinblick auf die Frage der Nutzung durch Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen, aber auch in Hinblick auf ihre Organisationsform sowie die Hilfsmittel, die sie zu ihrer Organisation nutzen, untersucht. Eine Grundannahme war, dass es nicht eine Art von Netzwerk gibt, sondern dass sich Demenznetzwerke hinsichtlich ihrer Organisationsform, ihrer Rechtsform, ihrer Ziele sowie der beteiligten Akteure und Nutzerstrukturen unterscheiden. In der Studie wurden 4 Netzwerktypen identifiziert. Jeder Netzwerktyp hat unterschiedliche Anforderungen an die Steuerung und Organisation des Netzwerkes. In Bezug auf den Prozess der Netzwerkbildung und -betreibung wurden zudem unterschiedliche Phasen ausgemacht. Neben der Aufbauphase, der Bereich der Finanzierung sowie der Bereich des nachhaltigen Betreibens.
Wie ist Demenznetzwerke.de aufgebaut?
Der Aufbau der Website Demenznetzwerke.de orientiert sich an den Phasen des Netzwerkprozesses. In jedem Bereich sind – z.T. in Form von Video-Statements – die Erfahrungen der 13 an der DemNet-D-Studie beteiligten Demenznetzwerke gebündelt. Im Bereich „Werkzeuge“ sind zudem von den Netzwerken bereitgestellte Hilfsmittel für die Netzwerkarbeit (z.B. Handlungsleitfäden, Arbeitshilfen zur Mittelakquise, Infoflyer, Einladungen zu Schulungen, Evaluationsbögen, Muster-Beratungsgutscheine) zum Download verfügbar. Auch über die Funktion „Mein Werkzeugkasten“ und die damit verbundene Möglichkeit, sich die Hilfsmittel auszuwählen, die für die eigene Netzwerkarbeit wichtig sind, wird die Heterogenität der Demenznetzwerke berücksichtigt. Neben den Erkenntnissen aus der DemNet-D-Studie wird auf der Website auch über weitere Themen, die für die Demenznetzwerke interessant sein können informiert, wie zum Beispiel über Fördermöglichkeiten im Rahmen des 2. Pflegestärkungsgesetzes.
An wen richtet sich Demenznetzwerke.de?
Die Website versteht sich als Informations- und Wissenspool für Gründer und Betreiber von Netzwerken, deren Ziel es ist, die Versorgung von Menschen mit Demenz und ihren pflegenden Angehörigen sicherzustellen und zu verbessern.
Wie wird Demenznetzwerke.de finanziert?
Im Rahmen der Zukunftswerkstatt Demenz wurde der Aufbau der Website Demenznetzwerke.de zunächst durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert. Seitdem wird die Finanzierung durch das Institut für Community Medicine (Abteilung Versorgungsepidemiologie und Community Health) der Universitätsmedizin Greifswald abgedeckt, die das Hosting der Website übernommen hat.