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Sind biobasierte Kunststoffe die Lösung? Walter Leal im Interview

Ein Beitrag von Kerstin Hermuth-Kleinschmidt

Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt, Diplom-Chemikerin und promovierte Mikrobiologin, selbständige Beraterin und Dozentin am Karlsruher Institut für Technologie.

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Veröffentlicht: 10.02.2021

Lesezeit: 5 Minuten

Letzte Änderung: 26.09.2023

Schlagworte:

  • #expertennetzwerk
  • #nachhaltigkeit
  • #verpackung

In aktuellen Debatten um Verpackungsmüll scheinen Biokunststoffe die Lösung zu sein. Aber ist das so? Ein Interview von Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt aus der Expert Community von 20blue mit Prof. Dr. Walter Leal, Leiter des Projektes BIO-PLASTICS EUROPE.

In den aktuellen Debatten um Verpackungsmüll stehen Kunststoffverpackungen besonders in der Kritik. Das liegt auch an den nach wie vor geringen Recyclingraten. Global werden gerade mal 14% recycelt, weitere 14% werden thermisch verwertet, sprich verbrannt, während der Rest auf Deponien „entsorgt“ wird (40%), in der Umwelt, in Meeren und Gewässern landet oder unkontrolliert verbrannt wird (32%).

Auf der Suche nach nachhaltigen Verpackungen und Alternativen zu den herkömmlichen, erdölbasierten Kunststoffverpackungen scheinen biobasierte Kunststoffe die Lösung. Mit ihnen verbunden ist die Hoffnung einer einfachen Entsorgung der Kunststoffverpackung über den Biomüll oder Kompostierbarkeit.

Doch wie nachhaltig sind diese Biokunststoffe? Und wie sicher sind sie? Diesen Fragen widmet sich das Projekt BIO-PLASTICS EUROPE.

Im Interview mit Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt aus der Expert Community von 20blue beantwortet Prof. Dr. Walter Leal, Leiter des Projektes BIO-PLASTICS EUROPE, Fragen rund ums Thema Biokunststoffe.

Die dritte Auflage unseres Research Papers AUSGEPACKT: Mythencheck nachhaltige Verpackungsmaterialien ist erschienen.

Research Paper: Ein wissenschaftlich fundierter, zugleich anwendungsbezogener Einblick in aktuelle Debatten. Wir nehmen Makro- und Mikrotrends unter die Lupe, prüfen die Fakten und entwickeln mit interdisziplinärem Blick praktikable und stimmige Lösungswege.

Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt: Die Natur erzeugt Stoffe für eine genau definierte Anwendung, die später rückstandlos verschwinden: Ist das technisch überhaupt denkbar?

Prof. Dr. Walter Leal: Ja, zum Teil. Die besten und ökologisch sinnvollsten Biokunststoffe werden aus natürlichen Polymeren hergestellt. Die Mehrzahl der heute auf dem Markt erhältlichen biologisch abbaubaren Materialien basiert auf Zellulose, einem aus Pflanzen gewonnenen Polysaccharidmaterial. Diese Materialien finden eine breite Anwendung in Verpackungen, zum Beispiel als Behälter für Lebensmittel oder Getränke. Aufgrund ihrer Zusammensetzung können sie vollständig abgebaut werden, aber dies ist ein langsamer Prozess, der teilweise viel Zeit braucht.

Hermuth-Kleinschmidt: Ist das Wort „Biokunststoff“ nicht eine Täuschung: Müssen nicht alle „Bio“-Stoffe mit Additiven so verändert werden, dass sie die Vorsilbe „bio“ verlieren werden, wenn sie dauerhaft und für die meist technische Anwendung brauchbar gemacht werden sollen?

Leal: Der Begriff „Biokunststoff“ bezieht sich auf Kunststoffe, die ganz oder teilweise aus erneuerbaren Biomassequellen, wie Zuckerrohr und Mais, oder aus Mikroben, wie Hefe, hergestellt werden. Einige Biokunststoffe sind unter den richtigen Bedingungen biologisch abbaubar oder sogar kompostierbar. Sie unterscheiden sich von herkömmlichen Kunststoffen, bei denen es sich um Produkte auf der Basis fossiler Brennstoffe handelt. Die Additive ändern dies nicht.

Hermuth-Kleinschmidt: Wo liegen die Herausforderungen bei Additiven, die Biokunststoffe für die Anwendung tauglich machen sollen?

Leal: Additive werden bei der Herstellung von Biokunststoffen für u.a. Zähigkeit, Hitzebeständigkeit und Verarbeitbarkeit benötigt. Additive für Biopolymere werden auf drei Ebenen untersucht und verwendet.

  • Die erste, also „a“ betrifft traditionelle Additive, die keine nachteiligen Auswirkungen auf die Gesundheit oder die Umwelt haben und die Einhaltung der Kompostierbarkeitsstandards nicht beeinträchtigen.
  • Zweitens, also „b“, handelt es sich um „erneuerbare“ Additive, die aus natürlichen Quellen stammen, aber nicht unbedingt biologisch abbaubar sind, zur Verwendung in langlebigen Produkten.
  • Drittens, also „c“, sind Additive, die sowohl erneuerbar als auch biologisch abbaubar sind und sich gut für Einweg- oder kurzlebige Produkte eignen.

Die Herausforderung besteht darin, dass die Additive der Ebene „b“ in größerem Umfang verfügbar und billiger sind. Sie durch umweltfreundlichere Materialien („a“ und „c“) zu ersetzen, ist also ein langsamer Prozess. Aber er könnte durch einen breiteren Einsatz an Fahrt gewinnen, was die Preise senken würde.

Hermuth-Kleinschmidt: Worin liegen für Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen die höchsten Hürden, um „tatsächlich abbaubare“ Materialien zu erzeugen?

Leal: Die Herausforderungen sind vielfältig. Eine davon besteht darin, dass biologisch abbaubare Kunststoffe bei der Zersetzung Methangas erzeugen, wenn sie für die Deponierung verwendet werden. Methangas ist ein wichtiges Treibhausgas, und biologisch abbaubare Kunststoffe und Biokunststoffe lassen sich nicht leicht zersetzen.  Darüber hinaus sind einige biologisch abbaubare Materialien in der Herstellung zwei- bis zehnmal teurer als vergleichbare nicht biologisch abbaubare Materialien. Mit steigender Nachfrage nach biologisch abbaubaren Materialien werden die Preise jedoch so lange sinken, bis sie mit ihren umweltschädlichen Konkurrenten vergleichbar werden könnten. Die gegenwärtige und zukünftige Forschung wird sich mit solchen Problemen befassen müssen.

Hermuth-Kleinschmidt: Was ist mit der ewigen Frage einer Konkurrenz zwischen „Teller“ und „Technik“?

Leal: Reale Biokunststoffe stellen keine Konkurrenz für Lebensmittel dar, wie manche vielleicht befürworten. Natürliche Polymere befinden sich zum Beispiel in erneuerbaren Biomassequellen, wie pflanzlichen Fetten und Ölen, Maisstärke, Stroh, Holzspänen, Sägemehl, recycelten Lebensmittelabfällen usw. Sogar Shrimpshäute können verwendet werden und werden in der Tat in Südostasien bei der Herstellung von Plastiktellern und -besteck verwendet. Da es sich bei diesen Materialien um „Reststoffe“ handelt, die nicht von Original-Lebensmittelprodukten stammen, die für den menschlichen Verzehr verwendet werden, stellen sie keine Konkurrenz zu Produkten dar, die für die Nahrungsmittelproduktion verwendet werden.

Hintergrund: Das Projekt BIO-PLASTICS EUROPE

Das Projekt BIO-PLASTICS EUROPE ist ein H2020-Projekt. Es wird nachhaltige Strategien und Lösungen für biobasierte und biologisch abbaubare Kunststoffe liefern und damit die EU-Kunststoffstrategie unterstützen und die Kreislaufwirtschaft fördern. Die 22 Partner in 13 Ländern, Forschungseinrichtungen sowie Wirtschaftsunternehmen, werden von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) koordiniert. Das Projekt hat im Oktober 2019 seine Arbeit aufgenommen und läuft bis September 2023.

Die Arbeit im Projekt umfasst die Entwicklung von innovativem Produktdesign, Gesundheits- und Sicherheitsstandards, End-of-Life-Lösungen und Produkt-Ökobilanzen. Ziel ist es darüber hinaus, Geschäftsmodelle für die effiziente Wiederverwendung und das Recycling von biobasierten, biologisch abbaubaren Kunststoffen zu entwickeln, um die Sicherheit der recycelten Materialien sowohl für die Umwelt als auch für die Gesellschaft zu gewährleisten. 

Zwei der wissenschaftsbasierten Ziele des Projektes sind das Verständnis der Auswirkungen von Biokunststoffen auf Ökosysteme und der Aufbau von Sicherheits- und Nachhaltigkeitsrahmenwerken für Biokunststoffe. Zu diesen Zwecken haben die Partner bereits damit begonnen, Biokunststoffmaterialien zu testen und ein Sicherheitsprotokoll für Biokunststoffe zu entwickeln.

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