Sustainable Packaging:
Parameter für die Verpackungsindustrie
Thomas Lux , 09.02.2021

Nachhaltige Verpackungen sind, gerade in Zeiten erhöhten Online-Bestellaufkommens, keine Kür, sondern Pflicht. Das Thema Nachhaltigkeit entscheidet über die Zukunftsfähigkeit der Verpackungsindustrie. Doch wie kann die Verpackungsindustrie nachhaltiger werden? Thomas Lux, Packaging Expert aus der 20blue Expert Community, erklärt, welche Parameter eine Rolle spielen und wie der Werkzeugkasten des Lean Managements entscheidend zu mehr Nachhaltigkeit in der Verpackungsindustrie beitragen kann.
Das Thema Nachhaltigkeit war in den letzten zwölf Monaten in der Öffentlichkeit präsent, trotz oder gerade wegen der Pandemie. Während des Lockdowns blieb der Einzelhandel geschlossen, online zu bestellen war das Mittel der Wahl. Für die Verpackungswirtschaft ist und bleibt der Umgang mit Nachhaltigkeit oder Sustainability von entscheidender Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit der Branche – sowohl aus Eigeninteresse, als auch aus Kundensicht.
In der Öffentlichkeit liegt der Fokus aktuell auf der Auswahl der Verpackungsmaterialien und Ihrer Umweltverträglichkeit. Stichworte der – nicht ohne Emotionen geführten – Auseinandersetzungen sind „weg mit Plastik“, „unverpackt“ und natürlich „Recycling“.
Nachhaltigkeit ist kein Selbstzweck, sondern wirtschaftliche Notwendigkeit
Für die herstellende Industrie ist die Beschäftigung mit der Nachhaltigkeit somit kein Selbstzweck oder Trend, sondern mittlerweile eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Kundenwünsche, öffentliche Wahrnehmung, rechtliche Vorschriften, Wettbewerbsverhalten und Kostendruck sind die entscheidenden Auslöser. Veränderungen im privatwirtschaftlichen Umfeld finden jedoch bevorzugt dann statt, wenn sich daraus Kostensenkungen und/oder Umsatzsteigerungen ableiten lassen.
Auch wenn die materialbezogenen Diskussionen von überragender Bedeutung sind – im Durchschnitt dürften rund 50% der Wertschöpfung in der Verpackungsherstellung bei den eingesetzten Rohstoffen liegen – greift der alleinige Fokus auf das Material für die Unternehmen als Ganzes aus meiner Sicht doch zu kurz: Denn echte Nachhaltigkeit ist für die Verpackungsbranche mehr als nur die Wahl des Materials.
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Dimensionen der Nachhaltigkeit und betriebliche Werkzeuge
Welche Dimensionen kann Nachhaltigkeit heute in einem Industriebetrieb haben?
Und welche Werkzeuge stehen im betrieblichen Alltag zur Verfügung?
Ein wesentlicher Leitgedanke ist, dass Verschwendung jeglicher Art den ökologischen Fußabdruck negativ beeinflusst. Es macht also Sinn, sich mit den wichtigsten Ressourcen im Betrieb auseinanderzusetzen. Dazu gehören unter anderem: Material, Energie (auch Luft und Wasser), Kapital und natürlich der Mensch bzw. seine Arbeitskraft. Erfreulicherweise gibt es heute im betrieblichen Alltag bereits eine Vielzahl etablierter Werkzeuge, die die Unternehmen auf dem Weg zum nachhaltigen Wirtschaften wirksam begleiten können:
- Verschwendung von Material vermeiden: Beim Materialeinsatz geht es zuvorderst um die Vermeidung von Abfällen und die Rückführung von Ausschuss in den Produktionskreislauf. Initiativen wie Zero Pellet Loss oder die Operation Clean Sweep zeigen in die richtige Richtung. Bei beiden Ansätzen geht es darum, (Roh-) Materialverluste entlang der Lieferkette, also im Produktionsprozess, beim Transport usw. zu reduzieren und damit zu verhindern, dass Plastik in die Umwelt gelangt. Die Träger dieser Initiativen, in Europa der Verband der Kunststofferzeuger PlasticsEurope, fokussieren sich auf Kunststoffgranulate. Der Grundgedanke lässt sich aber auf weitere in der Verpackungsherstellung eingesetzte direkte und indirekte Materialien übertragen.
- Verschwendung von Umweltressourcen vermeiden: Über den Materialaspekt hinaus gilt es, die Verschwendung aller umweltrelevanten Ressourcen zu vermeiden. Bereits seit Mitte der neunziger Jahre unterstützen Umweltmanagementsysteme (ISO 14000ff, EMAS) dabei. So lassen sich z.B. aus Stoffstromanalysen Maßnahmen zum betrieblichen Umweltschutz ableiten. Ansatzpunkte beim Energiemanagement sind die Reduzierung des Energieverbrauchs und die Umstellung auf den Einsatz grüner, erneuerbarer bzw. CO2-neutraler Energien. Hilfestellung bei der Analyse und der Entwicklung von Maßnahmen kann z.B. die ISO 50001 Normenfamilie geben. Zur gesamthaften Betrachtung gehört heute auch die Berücksichtigung der Mitarbeiterbewegungen. Homeoffice und Videokonferenzen tragen in Verwaltung, Vertrieb und Entwicklung zur CO2-Reduzierung bei. In der Produktion können durch Ausbau der Digitalisierung ebenfalls positive Effekte erzielt werden: Vorausschauende Instandhaltung (Predictive Maintenance, auch unterstützt durch KI) von beispielsweise Lackieranlagen verringert die Anzahl ungeplanter Wartungsfälle. Mit Augmented Reality unterstützte Fernwartung an einer Druckmaschine reduziert den Einsatz externer Dienstleister vor Ort. Diese Beispiele ließen sich beliebig fortführen.
- Verschwendung in Form von Lagerbeständen vermeiden: Nicht notwendigerweise gebundenes Kapital ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht ebenfalls ein Element der Verschwendung. In Bezug auf Nachhaltigkeit sind Lagerbestände kritisch zu hinterfragen. Bestände verdecken Fehler und sind Hinweis auf nicht aufeinander abgestimmte Produktionsprozesse. In Beständen sind über das Kapital hinaus Energie, Material, betriebliche Flächen, Arbeitskraft und damit CO2 gebunden. Eine über die Unternehmensgrenzen hinweg mit Lieferanten und Kunden abgestimmte Produktionsplanung und -steuerung kann hier Verbesserungen bewirken.
Lean Management ist DAS übergreifend wirksame Werkzeug
Verknüpft man die Ziele des nachhaltigen Handelns und den Ansatz „Verschwendung vermeiden“, landet man fast zwangsläufig bei Lean Management und den Prinzipien der Schlanken Produktion als einem, wenn nicht dem übergreifend wirksamen Werkzeug zur Zielerreichung. Der Begriff „Lean & Green“ versucht beide Ansätze miteinander zur verbinden.
Das Konzept der Schlanken Produktion entstand ursprünglich in der Automobilindustrie – Vorreiter war Toyota – und ist heute bei den OEMs und ihren Zulieferern Standard. Weitere Branchen haben dieses ganzheitliche Managementsystem in den Jahren seit 1990 übernommen.
Stark vereinfacht geht es beim Lean Management darum Verschwendung (japanisch „muda“) in allen möglichen Formen zu vermeiden. Damit trifft Lean Management den Kern der Nachhaltigkeitsdebatte: Verschwendung bedeutet, die Entwicklung nachfolgender Generationen zu gefährden.
Auch in der Verpackungsindustrie gab es bereits Mitte der neunziger Jahre Unternehmen, die, zunächst mit Six Sigma beginnend, schrittweise weitere Lean Management-Methoden eingeführt haben. Organisatorisch wird dies heute vielfach unter Begriffen wie Operational Excellence oder Business Excellence fortgeführt.
Der Werkzeugkasten des Lean Managements ist mittlerweile sehr umfangreich und Anwendungsfälle gibt es in vielen Bereichen der Produktion:
- Six Sigma kann Produktionsprozesse (z.B. Schichtdicken an Lackieranlagen) stabilisieren und so unter anderem Ausschuss reduzieren.
- Mit 5S werden Arbeitsplätze so gestaltet, dass ohne Störungen verschwendungsfrei gearbeitet wird.
- Die Einführung des Pull-Prinzips ausgehend von den Konfektionsanlagen kann Überproduktionen vermeiden.
- Wertstromanalysen zeigen nicht aufeinander abgestimmte Prozesse auf und geben Hinweise wo Wartezeiten, und damit Verschwendung, vermieden werden können.
Die Auflistung lässt sich fortführen. Mein persönlicher Eindruck ist allerdings, dass die Verpackungswirtschaft in Ihrer Gesamtheit noch nicht den Reifegrad der Automobilzulieferer erreicht hat, um ein Beispiel zu nennen. Möglicherweise ergeben sich in Folge der Nachhaltigkeitsdebatte für die Unternehmen neue, erfolgversprechende Impulse. Dabei sollten auch die administrativen Unternehmensbereiche z.B. im Vertrieb und der Entwicklung nicht vergessen werden.
CO2-Zertifikate sind Bestandteil nachhaltiger Investitionsentscheidungen
Zum nachhaltigen Handeln im Industriebetrieb gehört angesichts anstehender Veränderungen bei Produkten und Produktionsverfahren auch die Beantwortung der Frage: Wie gehe ich mit vorhandener Infrastruktur (Maschinen, Gebäude) um? Rechtfertigen Einsparungen bei Neuanlagen die Verschrottung bestehender Maschinen, weil z.B. die CO2-Gesamtbilanz der Maßnahme positiv ist? Oder sind Übergangsfristen sinnvoll?
Ein Hilfsmittel bei der Beantwortung solcher Fragen kann die Bewertung durch CO2-Ausgleichszertifikate sein. Vielfach werden heute bereits auf dem Weg zur Klimaneutralität die nach Durchführung aller Verbesserungsmaßnahmen verbleibenden CO2-Emissionen über anerkannte Klimaschutzprojekte ausgeglichen. Dies führt ebenso wie CO2-Steuern zu einer Internalisierung der externen Umweltkosten. Damit können diese Kosten Eingang in Wirtschaftlichkeitsrechnungen finden und Investitionsentscheidungen in Richtung Nachhaltigkeit beeinflussen.
Mein Fazit
Die Wahl des Verpackungsmaterials ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Bestandteil einer nachhaltigen Unternehmenspolitik in der Verpackungsindustrie. Eine ganzheitliche Betrachtung ist notwendig und möglich. Die betrieblichen Werkzeuge dafür sind vorhanden und in den Unternehmen größtenteils bekannt. Konsequenter Einsatz der Lean Management-Prinzipien mit dem Fokus auf Ressourceneffizienz und Verschwendungsvermeidung bietet die Chance ganzheitlich Verbesserungen zu ermöglichen. Dabei sollten die Verpackungsmittelhersteller mit gleicher Stoßrichtung auf ihre Lieferketten einwirken.
Auch die Kunden (Abpacker, Lebensmittelhersteller, Discounter) können und sollten ihren Beitrag leisten, indem sie Lieferanten honorieren, die ganzheitlich nachhaltige Konzepte verfolgen. Dabei kann sich übrigens auch für die großen Abnehmer mal der Blick auf kleinere, innovative Verpackungsmittelhersteller lohnen.