Beratung und Seminare in der Coronakrise:
tiefe Dialoge sind auch digital möglich
Edith Münch und Helmut Ebert , 20.04.2021

Gezeichnet von Michael Mutschler
“Die Coronakrise bedeutete auch für uns Umstellung auf Online-Seminare. Wir sind in diesem neuen Format bei unserer Grundidee geblieben: Leadership und Transformationsdialoge um Coachingelemente zu bereichern. Eine der spannendsten Erfahrungen war, dass es möglich ist, auch in virtuellen Seminaren tiefe Gespräche zu führen, die völlig neue Erkenntnisse fördert.” Ein Expert Statement von Dr. Edith Münch und Prof. Helmut Ebert.

Dieser Beitrag erschien als Teil unserer #expertstatements
Wir pfleg(t)en unsere Businesskontakte über persönliche Beziehungen und das direkte Gespräch, das von unseren potenziellen Kunden gesucht und als inspirierend erlebt wird. Unsere analogen Seminare leben von Eigendynamik und Interaktion zwischen uns und den Teilnehmenden. Das war anfangs schwer digital umzusetzen. Dass es aber auch “anders” geht, zeigt unser Beispiel.
Die Coronakrise bedeutet zunächst für die Akademie- und Beratungsleistung von heem-transformations.de (Bonn), dass wir umstellen mussten auf Online-Seminare und Beratung via Mail und Telefon. Um es kurz zu sagen: bestehende Geschäftsbeziehungen profitierten von der „Zwangsumstellung“, die Anbahnung neuer Geschäftsbeziehungen wird erschwert. Was die Beratung betrifft, so ergaben sich durch die Krise längere Intervalle, die wir kreativ nutzen konnten, um ganz neue Konzepte zu erarbeiten. Auf der theoretischen Ebene kamen wir zu folgender Vermutung: digitale Interaktion im Beratungskontext profitiert von der Verlangsamung der Gespräche, die mehr Zeit für das Denken lässt. Aber digitale Interaktion führt ins Chaos, wenn die Beteiligten bar jeden Sprachbewusstseins interagieren, wie die Regierungskommunikation belegt.
Vielleicht die spannendste Einsicht war, dass es möglich ist, auch in digitalen Seminaren (mit 30 Teilnehmenden) tiefe Gespräche zu führen. Tiefe Gespräche zielen auf gemeinsamen Erkenntnisgewinn, auf das Bewusstmachen der Annahmen hinter den Meinungen und auf die Beobachtung des Denkens, damit Gruppen gemeinsam denken lernen.
In einem Seminar zum Thema „Führungskräftekommunikation“ gingen wir in einem Lehrmodul („Gesprächsführung“) von einem fiktiven Gespräch zwischen einem Studenten und einem Vertrauensdozenten aus:
Der Student war dem Unterricht ferngeblieben, weil ihn die Monologe des Lehrers nervten und weil er vermeintlich keinen Gewinn am Unterrichtsbesuch für seine Berufspraxis sah. Der Vertrauensdozent hatte ihn auf Geheiß des Lehrers zur Aussprache einbestellt.
Der Vertrauensdozent begann das Gespräch mit Erkundigungsfragen, wechselte dann aber zu suggestiv-appellativen Fragen, die im vorläufigen Verständnis des Studenten mit der Aussage „Dann muss ich also am Unterricht teilnehmen“ quittiert wurden.
Wir hatten mit einer 15-minütigen Diskussion über das Dialogbeispiel gerechnet, aber das gemeinsame Gespräch darüber nahm fast 60 Minuten in Anspruch. Im Ergebnis zeigte sich die Stärke des kollektiven Denkens, was uns buchstäblich „aus den Schuhen“ haute.
Zutreffende Erkenntnisse waren: das Gespräch ist kein echtes Gespräch; der Vertrauensdozent beginnt mit einer angelernten Fragetechnik und wird dann von seinen eigenen unbewussten Verhaltensprogrammen überrumpelt, die ihn zum autoritären Befehl führt: „Sie müssen weiter am Unterricht teilnehmen!“. Auslöser des Umschwungs war ein Ausdruck des Studenten, den der Vertrauensdozent aber nur unbewusst registriert, aber nicht reflektiert: „Ich lerne im Unterricht nichts, was ich für den Beruf brauchen kann“.
Das ist ein unbearbeiteter Tiefenkonflikt. Vollends nahm unser Online-Gespräch Fahrt auf, als immer mehr Teilnehmende verstanden, dass es nicht darum geht, ob unsere „Deutungen des Beispiels“ richtig sind, sondern dass es darum geht, was wir aus dem Gespräch über dieses Beispiel gemeinsam voneinander lernen können. Wir konnten zeigen, wie bedeutend Gesprächskompetenz für Führende, Lehrende und Lernende ist.
Das bedeutet für unsere Branche (Kommunikation & Leadership): Dialog schlägt Monolog und damit sind weite Felder der Unternehmenskommunikation obsolet bzw. müssen sich (endlich) neu erfinden. Wo es an echter Dialogkompetenz fehlt, kommt es zu Verirrung des Denkens, aus denen nicht nur alle Konflikte, sondern auch Kriege entstehen.
Das bedeutet für unser Thema: Die Fähigkeit, echte Gespräche zu führen, ist der Schlüssel für exzellente Beratung.
Hat sich unsere Einschätzung gegenüber unserem letzten Statement geändert? Ja, wir haben das Ausmaß, in dem es Regierenden an Gesprächskompetenz fehlt, total unterschätzt. Ausführlich gesprochen hat Prof. Helmut Ebert darüber mit Anja Mutschler im Podcast 20blue hour zum Thema Politische Rhetorik.