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Corona verändert das Stadt-Land-Verhältnis

Ein Beitrag von Martin Gloger

Martin Gloger, Soziologe (Dr. rer. pol.), ist Postdoc an der European Graduate School, in der Abteilung „Philosophy, Arts and Critical Thought“.

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Veröffentlicht: 13.07.2021

Lesezeit: 4 Minuten

Letzte Änderung: 04.09.2023

Schlagworte:

  • #corona
  • #expertennetzwerk
  • #Stadtplanung

Im Frühjahr 2020 prognostizierte Dr. Martin Gloger einen Wandel im Stadt-Landverhältnis aufgrund der Corona-Pandemie. Im aktuellen Expert Statement gibt er ein Update: „Die sozialen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie haben verschiedene Makro-Trends beschleunigt. Zwei sind hervorzuheben: die Digitalisierung und die prognostizierte Aufwertung des ländlichen Raumes.“

Die Aufwertung des ländlichen Raumes

In meinem Expertenstatement im Frühjahr 2020 habe ich die Prognose aufgestellt, dass die Corona-Pandemie eine Aufwertung des ländlichen Raumes bewirken würde. Diese Einschätzung wurde von anderen Stimmen geteilt, unter anderem der Soziologe Stephan Lessenich und ein Forscherteam der Universität Kassel prognostizierten ebenfalls die Aufwertung des ländlichen Raumes. Etwas mehr als ein Jahr später kann das Zwischenfazit gezogen werden, dass diese Einschätzung zutreffend war.

Das Stadt-Land-Verhältnis war seit dem Wachstum der Städte im Zeitalter der Industrialisierung vor allem durch eine stetige Bewegung vom Land in die Stadt geprägt. In der Stadt locken Arbeitsplätze, die Anonymität verspricht Individualisierungschancen und schließlich ist das kulturelle Angebot überwältigend. Diesen Pull-Effekten, die vor allem die junge Bevölkerung in die Städte lockten, steht eine Reihe von Push-Effekten gegenüber, die die Landbevölkerung in die Städte drängten. Die Beschwerlichkeit der Landarbeit – auf dem Land wurde schließlich auch nicht jede Arbeitskraft gebraucht, und die soziale Kontrolle des Landlebens veranlassen junge Menschen, ihr Glück in der Stadt zu suchen. Das ist ein gesellschaftlicher Makro-Trend, der bis zum heutigen Tage anhält. Weil die Stadt ihren Einwohner*innen verbesserte Lebenschancen bietet, wurde auch das „Recht auf Stadt“ postuliert, prominent durch den französischen Philosophen und Soziologen Henry LeFebvre. Das Leben in der Stadt ist ein Traum, geradezu eine utopische Vision.

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Betrachtet man den norddeutschen Raum, ist das stetige Wachstum der Städte klar nachzuzeichnen. Bislang war der Trend vor allem durch das Wachstum der Metropolen geprägt. Vor allem Hamburg und das dazu gehörige Umfeld sind rasant gewachsen. Großstädte wie Oldenburg oder Osnabrück sind stille Gewinner – eine gute Infrastruktur und günstige Grundstückspreise machen diese Städte lebenswert. Auch kleinere Großstädte wie Göttingen oder Kassel fallen durch ein kontinuierliches, wenn auch bescheidenes Wachstum auf, während das Umfeld mehr und mehr an Bevölkerung verliert.  

Nun gibt es keinen Trend, zu dem nicht auch ein Gegentrend auszumachen ist. Lärm, Schmutz und beengte Wohnverhältnisse machen die Stadt nicht nur zu einem lebenswerten Raum, einer Utopie, auch die Stadt ist sowohl Traumwelt wie auch Katastrophe. Die Plagen des Stadtlebens haben die solvente Klientel weg von den Innenstädten hin in exklusivere Vororte gezogen. Ein klassischer Einschnitt ist die Elternschaft, werdende Familien ziehen sich in ruhigere Quartiere zurück.

Die sozialen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie haben verschiedene Makro-Trends beschleunigt, für dieses Statement sind zwei hervorzuheben, die Digitalisierung und die prognostizierte Aufwertung des ländlichen Raumes. 

Die Arbeit vom Homeoffice war schon vor der Covid-19-Pandemie mit steigender Tendenz verbreitet, wurde durch die Kontaktbeschränkungen in der Pandemie verstärkt. Ebenso werden die mitunter schlechten hygienischen Bedingungen in der Stadt durch die Pandemie bedrohlich. Während man im Homeoffice in seinem Einfamilienhaus im Grünen bis auf weiteres in einer selbstverordneten Quarantäne leben konnte, ist für diejenigen, die mit der U-Bahn morgens in die City pendeln müssen, weil ihr Job nicht im Remote-Modus weitergeführt werden kann, die Pandemie bedrohlich. Insofern trifft die Pandemie nicht alle gleich, sondern sozial Schwache, in prekären Arbeitsverhältnissen Arbeitende und oder in beengten Sozialwohnungen Lebende unmittelbar.

Der Trend ins Grüne oder auf das Land ist in kleinen Orten mit guter Infrastruktur und/oder guter Verkehrsanbindung im Laufe der Corona-Pandemie deutlich zu erkennen. Das schnelle Internet ist ein wichtiger Faktor, wenn man sich einen Standort auf dem Land sucht, denn viele Arbeitnehmende werden im Homeoffice bleiben.

Die Stadtflucht hat in vormals eher beschaulichen Orten wie Bad Salzhemmendorf oder Coppenbrügge (beide Landkreis Hameln-Pyrmont) zu einem dynamischen Wachstum geführt. Zahlreiche Altimmobilien – die vorher schwer abzusetzen waren – haben innerhalb der Pandemie ihren Besitzer gewechselt. Begehrt sind auch Immobilien in Bahnhofsnähe und man ist bei guter Anbindung in 20 Minuten in der nächsten Großstadt. Das ist teilweise so schnell, wie von einigen Außenbezirken der Metropolen bis ins Zentrum.

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