Leben wir noch in einer Konsumgesellschaft? Kann es eine Post-Wachstumsgesellschaft aber überhaupt geben? Unser ganzes Gesellschaftssystem ist um das Angebot-und-Nachfrage-Prinzip aufgebaut. Konsumieren stammt von consumere, lateinisch für etwas verbrauchen. Tatsächlich ist die (Nicht-)Nachhaltigkeit unseres Konsums einer der größten Zankäpfel unserer Tage.
Nachhaltig konsumieren
Bewusst zu konsumieren gehört zu den Insignien einer wachsenden kritischen Käuferschaft. Als Hipster oder Ökofreaks verschrien, hat diese Konsument:innengruppe insbesondere im Lebensmittel- und Fashionbereich mittlerweile großen Einfluss auf das Angebot. Nicht immer stimmen Anspruch und Wirklichkeit überein, Stichwort Billigfleisch.
E-Autos statt Abwrackprämie: Das aktuelle Konjunkturprogramm der deutschen Bundesregierung fördert — zumindest teilweise — nachhaltigen Konsum. Investoren fordern von Startups mittlerweile realistische Nachhaltigkeitskonzepte. Und Fleisch ist das neue Rauchen, zumindest kann man auch ohne Fleisch lecker essen (gehen), egal ob man Flexitarier:in, Pescitarier:in oder Vegetarier:in ist. Es ist eine Abstimmung mit den Füßen — viele Nachhaltigkeits-Impulse an Handel und Industrie kommen direkt von uns, den Konsument:innen. Und das ist bemerkenswert, denn jahrelang waren es ebenfalls wir, die fröhlich konsumierten. Denn die Fakten liegen seit der Ölkrise in den 1970ern auf dem Tisch. Der Bericht „The limits to growth“ vom Club of Rome 1972 markierte den Beginn einer wissenschaftlichen Debatte, wie wir unseren Verbrauch der irdischen Ressourcen so begrenzen, dass ein nachhaltiges Konzept daraus entsteht. Die Sustainable Development Goals (SDG) sind seit den 1980ern als Nachhaltigkeitsindex eine gute Messlatte. Theoretisch. Denn praktisch kämpfen viele Unternehmen seit Jahren mit der Unvereinbarkeit von Renditeerwartung und nachhaltigem Handeln. Eine Konsumgesellschaft ist ein schlechter Ratgeber aus dieser Zwickmühle. Denn sie beruht auf dem Verbrauch von Dingen. Wir wollen und sollen viel kaufen — immer wieder. In der Coronakrise ist ein heftiger Disput darüber entstanden, ob die Politik klassische Kaufanreize setzen sollte, oder ob der passende Zeitpunkt gekommen ist, die Wachstumsökonomie mit einer nachhaltigen zu ersetzen. Die Circular Economy ist nur ein Beispiel. Kann das klappen? Was bedeutet Konsum dann eigentlich noch? Etwas verbrauchen? Oder werden wir ein neues Wort erfinden — für den Erwerb einer möglichst langlebigen, klimaneutralen Sache?
Digital konsumieren
Der größte Gewinner dieser Tage ist der Online-Handel — ein Satz, gültig seit etwa x Jahren, als der digitale den analogen Handel überholt hat. Im Grunde aber ist der digitale Handel auch schon wieder alt, geprägt von den Anforderungen der Wegwerfgesellschaft (Stichwort: Retouren, Preiskampf, Verfügbarkeit). Was kommt als nächstes? Drohnen in Städten? Oder doch eher ein Versuch, auch digital bewusst konsumieren zu lernen?
Digitalisierung kostet. Nicht-digital sein aber auch. Spätestens in der Pandemie haben viele Händler die Rechnung für die verpasste digitale Transformation präsentiert bekommen — bis hin zum abrupten Ende der Geschäftsaktivität. Die Konsument:innenhaltung in punkto Online-Handel ist in Deutschland zweigeteilt: öffentlich schimpft man darüber, unterdessen sind zwei neue Items im Warenkorb gelandet. Irgendwie so. Denn ist es nicht wahnsinnig praktisch? Der digitale Konsum, wie wir ihn heute sehen, ist überwiegend ein Sinnbild des traditionellen Konsumbegriffs: schnell, praktisch, preisgünstig. Zumindest die Deutschen lieben ihre Schnäppchen. Wer etwas über Länder lernen will, schaue sich die lokalen Einkaufsgewohnheiten an. Während in China schon Medikamente per Drohnen gebracht werden, streiten in Deutschland die Verlage darüber, ob Online-Antiquariate so überhaupt rechtens sind.
Wer internationalisiert, sollte das wissen. Außer er heißt Amazon, das quer zu all diesen Einstellungen und Regularien performt, lokalen Gebräuchen gegenüber so ignorant wie einst Coca-Cola im Food-Segment. Aber vielleicht dauert es nicht mehr lange, und es wird klar, dass die Big Player im Online-Handel, bildlich gesprochen, uns Verbraucher:innen auch nur eine Suchtbrühe voller Zucker anbieten: eine Wertschöpfungskette weit jenseits ethischer Grundlagen, eine Retourenpolitik, die falsche Signale setzt und in der nur die ganz Großen durchhalten können sowie eine Geiselnahme der kleinen Nischenanbieter durch die großen Shopanbieter, die den komplexen Vorgang von Click & Buy reibungsfrei hinbekommen. Wie viel kriminelles Potential im Online-Handel steckt, zeigt uns der Wirecard-Skandal. Was also ist der digitale Konsum von Morgen? Werden wir das Potential der Vielfalt besser zu nutzen lernen? Oder erleben wir eine weitere Monopolisierung — und zwar so lange bis der größte Vorteil des Online-Handels verschwunden ist: die geradezu unendliche Auswahl an Dingen.
Divers konsumieren
Wer hat, der hat. Der Materialismus kennt keine Gnade. Konjunkturprogramme der Politik, wie wir sie gerade erleben, belohnen den Konsum. Und nur, wer viel Geld hat, kann viel konsumieren. Auch vor dem Hintergrund der Chancengleichheit wäre weniger Konsumfixierung wünschenswert. Zu konsumieren ist aber einfacher als nicht zu konsumieren. Und wer nichts hat, will mehr haben. Deshalb gehört zu einer Teilhabediskussion auch die Frage, wie viel Konsum wir denen, die nicht so viel haben, eigentlich zugestehen. Seit Hartz-IV: nicht mehr viel. Ist das richtig? Und wie nachhaltig kann Konsum für alle überhaupt sein?
Pinkwashing ist das neue Greenwashing: es umschreibt die Tendenz, sich frauenfreundlicher bzw. diverser zu geben als man eigentlich ist (als Unternehmen, Mann). Nach einer Aufsehen erregenden Studie 2019 zum Gender-Pricing, als die Preisdiskrepanz zwischen gleichwertigen Produkten für Frauen und Männer nachgewiesen wurde, befleißigte sich der Handel, insbesondere die Drogeriemärkte, den Eindruck zu verwischen, es gäbe eine Pink Tax. Ein klarer Fall von Pinkwashing, denn natürlich sind Frauenprodukte noch immer teurer. Weil die Kundinnen es bezahlen. Im Falle von Verhütungs- oder Menstruationsmitteln: müssen. Ist das noch gängige marktwirtschaftliche Dynamik oder ein Diskriminierungs-Skandal? Gerade bei den existenzwichtigen Produkten ist die Frage angebracht, ob eine staatliche Regulierung nicht hilfreich wäre. Dass es geht, hat die Tamponsteuer gezeigt: die essenziellen Frauenprodukte haben endlich den vergünstigten Mehrwertsteuersatz. Woraufhin einige Anbieter die Preise erhöhten. Rabatte und Angebote bietet der Handel vor allem auf der geraden Linie vom Obst über Käse zu Schokolade und Bier. Betroffen von zu hohen Preisen für Produkte abseits des Mainstreams sind Menschen aus anderen Kulturkreisen, vegetarisch und vegan lebende Personen, Menschen mit Allergien oder chronischen Erkrankungen und in einem weiteren Sinne auch Eltern. Aber wer ändert das? Die Politik? Der Handel? Oder nur sehr laut und deutlich auftretende Verbraucherinnen und Verbraucher? Und wie viel lässt sich effektiv ändern, wenn manche Produkte nun einmal aufgrund höherer Produktionskosten teurer sind oder in so geringer Stückzahl produziert werden, dass sie nicht günstiger werden können? Ist der Weg zu einem diversen, teilhabeorientierten Konsum von weniger Materialismus insgesamt geprägt oder von Solidaritätsauf- und -abschlägen? Ist es eine gute Idee, Konsum überhaupt zu regulieren?
Was der Mainstream ist, definiert sich permanent neu. Was sensibel zu bepreisender Grundbedarf und was investitionsfreudige Gönnung ist, wird am Ende in größeren gesellschaftlichen Debatten entschieden, nicht an der Supermarktkasse. Die Änderungen des Konsums in der Coronakrise verflechten sich mit der großen Frage, wie wir künftig leben wollen, können und dürfen. Ob die gewachsene Diversität erhalten bleibt, ist auch die Frage danach, wie breit die Pfade inzwischen sind, die wir abseits der geraden Linie von Banane zu Bier getrampelt haben. Es empfiehlt sich, von Multigrafien statt von Biographien auszugehen: denn das Konsumverhalten ändert sich im Lauf der Jahre oft deutlich.