Zwischen Wohnungsknappheit und Smart City: Wir sind, wie wir wohnen. Oder wer wir sein sollen und dürfen? Der Staat wird in der Kommune für jede:n einzelne:n Bürger:in greifbar. Eine Stadt der Zukunft, so viel ist heute klar, ist vernetzt. Ein Modell für alle Städte? Tokyo, München, New York – Städte, in denen viele Menschen lange auch ohne ausreichend Wohnraum gelebt haben. Oft, weil sie es wollten: Mega, diese City! Gehört dieses Wohnkonzept in Zeiten von Pandemie, Home Office und geschlossenen Diskotheken der Vergangenheit an?
Drei Perspektiven, mit denen sich auf wohnen zu blicken, lohnt:
Digital Wohnen
Wie smart das eigene Home ist, entscheiden die Nutzergruppen derzeit nach Belieben. Alexa ja, aber Nassrasierer. Automatischer Milcherwärmer, aber Handbesen. Die Messe ist noch nicht gelesen. Europa, immerhin, entdeckt derweil die Smart City als sinnstiftendes Vorzeigeprojekt.
Digital wohnen bedeutet smart zu wohnen. Aber ist smart immer smart? In Bezug auf Alexa und Co. scheint die Welt zweigeteilt. Die einen sagen: „Wir werden doch eh abgehört”, und nutzen die Vorteile einer Intelligenz im Haus, die nie beleidigt ist und selten lacht: Wettervorhersage, Musikanlage, Lichtschalter und Einkaufshilfe und das alles in der Größe einer Kaffeedose. Praktisch, oder? „Spinnst du?”, sagen die anderen und verweisen darauf, dass sie wenigstens in ihrem eigenen Heim privat sein wollen (wissen aber oft nicht, dass ihr Handy schon lange mithört). Europa, und speziell Deutschland, ist global betrachtet ein Eldorado für Datenschützer:innen. Auch dank der DSGVO ist es möglich über die Frage zu sprechen, wem unsere Daten eigentlich gehören. Es steht zu vermuten, dass die skeptische Fraktion Smart Home erst dann zu akzeptieren bereit ist, wenn die Datensouveränität ganz beim Kunden liegt. Initiativen wie Truzzt und Gaia-X gelingt es immerhin, dass auch die Big 5 der Tech Era sich befleißigen, kundenfreundlicher über Daten nachzudenken. Allerdings bedeutete das auch, dass ein Geschäftsmodell wie bei Google – perfekte Services zum Nulltarif im Austausch für die Daten der Nutzer:innen – perdu ist. Die Kritik zur Datenkritik ist entsprechend deutlich: „Ihr verhindert Innovation!” Es ist derzeit noch nicht entschieden, ob die Hybris der Konsument:innen im Blick auch im Privaten greift: Laut jammern, leise nutzen. Apple, Google und Amazon zumindest geben sich optimistisch, dass wir die neue Mitbewohnerin akzeptieren – auch, weil sie erwiesenermaßen schlauer wird, wenn man mit ihr redet. Keine Selbstverständlichkeit! Derweil reiben die Hacker sich die Hände – gelten die intelligenten Geräte zu Hause nach wie vor als ziemlich unsicher. Richtig eingesetzt, könnte Smart Home jenseits des Spaßfaktors das Leben allerdings deutlich verbessern: weniger Routinearbeiten (Saugroboter, automatische Milcherwärmer für Babys), weniger Energieverbrauch, Assistenz für Ältere und Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen – die Liste hilfreicher Technologien ist lang. Bleibt zu hoffen, dass nach den technischen Kinderkrankheiten nun die eigentlichen angegangen werden: Datenspeicherung, Cybersecurity, Diversifizierung der Anbieter. Dann könnte das Reputationsproblem gelöst werden und vernetzte Technologie kann wirken, wie sie wirken soll: als praktischer Helfer.
Außerhalb von Deutschland ist man diesbezüglich weiter. Das gilt auch für Smart Cities. Euphemistisch formuliert, holt Deutschland auf. Zugegeben, es ist ein dickes Brett, das zu bohren ist. Smart Cities sind in allen relevanten Lebensbereichen vernetzt – vom Bürgerservice bis zum ÖPNV, vom Tourismus bis zur Kultur.
Die Europäische Kommission formuliert es entsprechend:
Aber wer einmal in einer Smart City unterwegs war, weiß: eine solche Stadt verknüpft mehr als Services. Sie verbindet Zukunft und Vergangenheit, Lebensräume, Lebenskonzepte. Ein Stadtkonzept, das vom Tourist bis zur Seniorin alle Bedürfnisse abbilden kann. Eine Stadt, die ihre Subkultur und Hochkultur fördert. Ein „Habitat der Zukunft”, das mittels Technologie zu einem besseren Ort wird – Geschwindigkeit dort, wo es geschwind sein muss und Langsamkeit da, wo Flanieren angebracht ist.
Kopenhagen, Stockholm oder Oslo – die nordeuropäischen Länder, deren Bürger:innen die pragmatische Dimension neuer Technologien schon lange in ihren Alltag integriert haben (versuchen Sie mal, in Stockholm bar zu bezahlen!), gelten als Leuchttürme der Smart-City-Bewegung. Auch Städte wie Riga oder Lissabon zählen dazu. Als Preisträger des Green City Awards 2020 beschreibt Lissabon das eigentliche Ziel, das mithilfe vernetzter Services und energieeffizienter Infrastruktur erreicht werden soll:
Mittlerweile geht die Smart-City-Bewegung weg von den Hauptstädten – acht besonders interessante finden Sie hier. In Deutschland können Hamburg, München oder Mannheim zu den führenden Smart Cities gezählt werden. Europa beansprucht einen führenden Platz und hat mit http://www.sharingcities.eu/ eine Plattform für innovative Städte geschaffen, die innovative Konzepte als Laborstadt testen und reproduzierbare Ideen entwickeln können. Die Entwicklung intelligenter urbaner Konzepte (auch für Mittelstädte), die inklusiv und sozial gedacht werden, stand von Anfang an im Fokus der Smart-City-Bewegung. Eine Studie von 2009 zeigt den interessanten Zusammenhang zwischen einer smarten und einer wohlhabenden Stadt. Der 2020 mit großer Mehrheit verabschiedete European Green Deal – ein riesiges EU-Investitionsprogramm für nachhaltige Technologien und Energieentwicklung – wird auch die Smart-City-Bewegung stärken. Smart Cities könnten unverhofft ein neues Sinnprojekt der EU werden, in der die Vielfalt der Länder und Städte endlich wieder als Vorteil verstanden wird. Eines, das auch auf Seiten der Wirtschaft hoch willkommen ist: „When policy makers and the moneymen agree“, heißt es dazu treffend in einem irischen Blog zweier Juristen und einer Juristin. Denn wenn es gelingt, replizierbare Modelle für die neue Urbanität zu entwickeln, kann die EU vorbildhaft zeigen, wie es sich im 21. Jahrhundert zu leben lohnt: nicht nur in den Metropolen, sondern auch in kleineren Mittelzentren. Diese sind durch die Corona-Pandemie nicht ohne Grund wieder in den Mittelpunkt attraktiver Lebenskonzepte gerückt – eine Metropole im Lockdown ist einfach eine traurige Angelegenheit. Und wer schaut im Home Office nicht lieber auf einen Garten statt auf ein verödetes Bürozentrum? Der Stadtplaner Charles Laundry hat einen einfachen Tipp parat: „Die europäischen Städte sollten in dieser – ganz anderen – Ausnahmesituation sofort anfangen, Ideen zu entwickeln oder zu sammeln, etwa durch Wettbewerbe. Wir müssen evaluieren, was eigentlich gut war an der Zeit vor der Pandemie – und was die Menschen während des Shutdowns positiv erlebt haben. Die Luft in den Städten ist viel besser geworden, und weil auch der Verkehrslärm fehlte, hörte man morgens die Vögel zwitschern. Das ist doch schon mal ein guter Anfang.”
Chancengleich wohnen
Seit es den modernen Städtebau gibt, gibt es die Diskussion um den sozialen Städtebau. Sind Smart Cities im 21. Jahrhundert der neue Heilsbringer? Auf Wien, auch eine Smart City, schauen Städte aber aus anderen Gründen neidvoll: die österreichische Hauptstadt kann ihren Bürger:innen bis heute passable Mieten und ausreichend Wohnraum zur Verfügung stellen.
Die Architektur ist ein Spiegel der Gesellschaft, die sie beherbergt. Wer sich ein wenig in die Architekturgeschichte einliest, sieht schnell, dass keine Metapher zu groß ist, um die Opulenz eines Baus zu rechtfertigen. Eine besonders schöne: „Kirchtürme: Umgekehrte Trichter, das Gebet in den Himmel zu leiten“, von Georg Christoph Lichtenberg. Eine besonders wünschenswerte: „Der Bauende soll nicht herumtasten und versuchen. Was stehenbleiben soll, muß recht stehen und wo nicht für die Ewigkeit doch für geraume Zeit genügen. Man mag doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine.” Berstende Projektordner voller Energieeffizienznachweise und Brandverordnungen beweisen, dass dieser Ausspruch aus Goethes Wanderjahren II längst Vergangenheit ist. Statt Bauten für die Ewigkeit eher ewiggleiche Bauten – aber mit passender Traufhöhe und Energieausweis. Also weicht die dem Bau innewohnende Gigantomie in Anbau und Technologie aus: Fußbodenheizungen, zwei Balkone und ein Ankleidezimmer mit smartem Spiegel. Features, die schwindelig machen. Wie auch die Preise. Denn wer soll das alles bez … bewohnen? Die Gentrifizierung frisst sich langsam selbst. Verzweifelte Kommunalpolitiker:innen versuchen mit Bestandsschutzmaßnahmen oder der Berliner Mietpreisbremse Wohnen bezahlbar zu halten. Wenn Investor:innen ihre Wohnungen in den Innenstädten lieber leer stehen lassen, anstatt (zu günstig) zu vermieten, hat man die Abzweigung aber schon vor Jahren verpasst. Ob die regulatorischen Anstrengungen gelingen, bleibt ungewiss. Smart Cities können einen Ausweg aus dem Dilemma bieten: das Konzept will mithilfe innovativer Technologien Urbanität nachhaltiger, digitaler und insgesamt lebenswerter gestalten. Die Stadt als sozialen Raum zu begreifen, ist ein großes Anliegen – aber auch eines der schwierigsten, denn ohne die Akzeptanz einer möglichst breiten Bevölkerungsgruppe bleibt die digitale Stadt nur ein Projekt des digitalen Establishments. Ein lesenswertes und durch die Grafiken von Marianne Poppitz auch sehenswertes Szenarienset beschreibt Michael Jahn in der Smart City Charta von 2017. (S.74-79). Was kann helfen, chancengleiches wohnen zu befördern? Ein partizipatives Quartiersmanagement, eine Stadt der kurzen Wege, barrierearme Ämtergänge helfen sicher. Der soziale Wohnungsbau bleibt dennoch eine Dauerbaustelle, (noch) kein großer sozialer Architekturentwurf prägt unsere Zeit. Gegen die dem Bauen innewohnende Dekadenz, gegen die ein Barone Haussmann in Paris ebenso anbaute wie ein Walter Gropius in Berlin, scheint kein Kraut gewachsen. Die ausgezeichnete Smart City Wien bietet derzeit das überzeugendste Sozialbau-Konzept in Europa. Sein Fundus speist sich aus den großen städtebaulichen Projekten vor hundert Jahren – den Wien, anders, als viele andere Städte, niemals an private Investoren veräußert hat.
Nachhaltig wohnen
Die Solaranlage auf dem Dach oder das Blockkraftwerk im Keller. Urban Gardening oder Green Buildings: Der Wohnbereich gehörte zu den Lebensbereichen, die frühzeitig nachhaltige Impulse umsetzten. Nun folgt die größere Aufgabe: Städte in nachhaltige Orte verwandeln. Wie kann dieses riesige Projekt gelingen?
Es hat sich viel getan seit dem ersten EEG 2000, dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, das auch Hauseigentümer:innen erlaubte, ihren selbst produzierten Strom aus erneuerbaren Energiequellen ins Stromnetz einzuspeisen. Der Tech-Palaver über das passende Energiekonzept beherrschte lange den Diskurs um nachhaltiges Wohnen und Bauen, befeuert auch von einer Kohorte Energieberatungen, die Wissen und Fördergelder zu verteilen wussten. Ehrgeizige Kommunen gingen einen Schritt weiter und entwarfen Green City-Visionen. Und, siehe da, Ende der 10er-Jahre ging mit wachsender politischer Entschiedenheit ein Ruck durch die Gesellschaft. Seit öko (auch) schick ist, entdecken wir alte Tugenden wieder: Gärtnern wird zu Urban Gardening, Recycling zu Upcycling und aus „Jute statt Plastik” wird „Alles außer Plastik”. Ob das im sachlichen Sinne nachhaltig ist, ist für den oder die Einzelne:n nicht immer greifbar. Aber seit die technokrate Energiefrage an die Lebens- und Wohnfrage angedockt hat, ist der Widerspruch zwischen schönem und nachhaltigem Wohnen weniger schmerzhaft. Erinnert sich noch jemand an den Aufschrei, als die Glühbirne abgeschafft wurde? Im LED-Zeitalter? Eben! Die ideologische Debatte, wie es sich nachhaltig wohnt und lebt, wurde traditionell entlang der politischen Milieus geführt. Spätestens seit dem Erfolg des Bienen-Volksbegehrens, als eine stramm wirtschaftliche CSU ihr grünes Herz entdeckt hat, aber gelten diese Zuschreibungen nicht mehr. Wohnzeitschriften vermitteln die dazu passende Ästhetik, wie mit natürlichen Rohstoffen und floraler Optik das natürliche Lebensgefühl entsteht. Und das Internet ist voll von Ratschlägen, wie sich nachhaltiger wohnen lässt.
Mit Greta Thunbergs Weckruf macht sich nun eine kompromisslosere Generation bereit. Sie fordert, Nachhaltigkeit in ihrem eigentlichen, zyklischen Sinne zu denken. Ihre Kritik an der jahrzehntelangen Wattepolitik: Nachhaltigkeit wird zwar belohnt, aber Verschwendung nicht bestraft. Schlimmer noch: die Wachstumsideologie brauche Verschwendung. Zero also ist die Devise, um die wissenschaftlich eindeutig belegte Entwicklung hin zur Klimakatastrophe, zur Vernichtung von ganzen Landstrichen und zu vielen Millionen Klimaflüchtenden noch aufzuhalten. Eile ist geboten. Das gilt auch fürs Wohnen und Bauen.
Indes: Wer einmal erlebt hat, wie lange es braucht, einen Wohnkomplex zu bauen, sieht eine Umrüstung der Städte auf nachhaltige Wohn- und Lebenskonzepte mit gerunzelter Stirn. Konzepte sind vorhanden, zum Beispiel das Triple Zero-Konzept des Stuttgarter Architekten Prof. Dr. Werner Sobek. Es wird schon 2014 in einem Handbuch für nachhaltiges Bauen vorgestellt. Es trägt vorausschauend den Titel: Masterplan Haus 2050. Ob wir dann noch in verdichteten Metropolen wohnen, ist seit Corona eine andere Frage. Eine Großstadt ohne Theater, Bar und Disko? Ein zu enger, teurer Raum! Leben wir bald einfach wieder naturnäher und automatisch nachhaltiger? Warum eigentlich nicht gleich im Smart Country? Ein Blick in die Architekturgeschichte könnte auch der Architektur auf die Sprünge helfen. Frank Lloyd Wright, der große organische Architekt der Moderne, hätte sicher ein paar gute Ideen.